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Woche 5
Von einem nicht abreissenden Gänsemarsch, einem spontanen Start ins Abenteuer und einer anderen Meinung zum Arabischen Frühling.
17. Februar, Baluran (Tag 29)
Ich hatte mit Mr. Imam abgemacht, dass wir uns Morgens um 5 Uhr treffen und er mich mit dem Motorrad in den Nationalpark bringt. Der Weg nach Bekol, das Camp im Park, war eine etwa 14 km lange, von Schlaglöchern übersäte Strasse. Mr. Imam raste mit mir hinten auf durch die Dunkelheit als gäbe es nichts zu befürchten. In Wahrheit war diese Fahrt lebensgefährlich und dumm.
Die Unterkünfte, die im Buch beschrieben waren, waren tatsächlich geschlossen. Von Bekol aus machten Mr. Imam und ich uns zu Fuss auf den Weg nach Pentai Bama, ein kleines Camp am Strand. Der Weg führte durch die sogenannte Savanna, eine weite Prärie mit fast keinen Bäumen. Es war wenig spektakulär. Wir sahen ein paar Pfaue (die aber nicht ihr Rad schlugen). Der Weg selber war gekiest und breit genug für ein Auto.
Es war einfach nicht die richtige Saison, um in den Park zu kommen. Im Hochsommer sind die Tiere gezwungen, an die wenigen Wasserlöcher zu wandern und man kann Wildschweine und Büffel sehen und theoretisch gäbe es noch Leoparden. Ganz umsonst war ich aber nicht gekommen. Am Strand war gerade Ebbe und eine grosse Bande Affen damit beschäftigt, unter dem Sand nach Essen zu suchen und auszugraben. Oft kriegten sich einige in die Haare und stritten sich. Das war ein lustiger Anblick.
Der Strand war ziemlich sicher von Menschen freigeschlagen worden. Auf beiden Seiten standen dichte Mangrovenwälder. Der Stamm einer Mangrove beginnt erst ein bis zwei Meter oberhalb des Bodens. Er steht auf langen Wurzeln, die durch die Luft bis zum feuchten Boden reichen. So ist der Stamm auch bei Flut über dem Wasserspiegel. Ein Steg führte mitten durch die Mangroven, deren Wurzeln sich umeinander rankten.
Bis auf die Mangroven schien mir der Wald ansonsten genau gleich wie auch sonst in Java, habe im Internet aber gelesen, dass das täusche und man einen Unterschied feststellen könne. Wie auch immer. Wir sind dann denselben Weg zurück gegangen und haben in Camp Bekol noch den Turm bestiegen, von wo aus wir über den ganzen Park schauen konnten. Dann fuhren wir wieder zurück zum Homestay.
Später nahm ich den Bus nach Surabaya. Lonely Planet hat sich bei Surabaya gar nicht erst die Mühe gemacht, die Backpacker Situation schönzureden. Günstige Unterkünfte seien selten und wenn dann dreckig und Personal sei selten an der Rezeption anzutreffen. Frei heraus wurde vorgeschlagen, in Surabaya jegliche Restbestände des Reisebudgets abzustossen und sich ein gutes Hotel zu leisten. Als „Top-Choice“ wurde konsequenterweise auch ein 5-sterne Hotel empfohlen, das 100$ pro Nacht kostet. Das war mir dann aber doch ein bisschen viel und ich begnügte mich mit einer Unterkunft, die nur etwa drei Mal so viel wie sonst kostete, etwa 28 SFr. pro Nacht.
Ich muss sagen, man kriegt etwas für sein Geld. Ein grosses Bett mit weissen Lacken und sauberen, weichen Kissen, einen Flachbildschirm Fernseher (den ich zwar nicht eingeschaltet habe) und natürlich ein separates, sehr sauberes Bad mit einer abgetrennten Warmwasserdusche. WLAN ist natürlich inbegriffen, wobei Surabayas Datenkapazität abends ziemlich ausgeschöpft ist und kaum noch eine Seite lädt. Ich hätte mich an diesen Lebensstil gewöhnen können. Und weil es schon spät war und ich das schon immer mal machen wollte, habe ich mir via Telefon mein Nachtessen aufs Zimmer bestellt, einfach, weil ich konnte :D.
18. Februar, Surabaya (Tag 30)
Ich hatte bis jetzt noch keinen Gedanken daran verschwendet, wie ich von Java nach Kalimantan, die nächste Insel, kommen würde. Da das Hotel kein Frühstück anbot, die Mall erst um 10 Uhr öffnete, die Strassen fast unmöglich zu überqueren waren und ich weit und breit nichts anderes sehen konnte, ass ich mein Morgenessen im McDonalds. Dort fand ich dann online heraus, welche zwei Fluggesellschaften von Surabaya nach Pangkalanbun in Kalimantan fliegen.
Das Buchen war allerdings etwas komplizierter. Auf der einen Seite konnte ich zwar den Flug, den ich am nächsten Tag wollte anklicken und alles Nötige ausfüllen, doch akzeptierte die Seite meine Kreditkarte nicht, da es sich nicht um eine indonesische handelte (wie machen die eigentlich ihr Geld?!?). Auf der anderen Seite konnte ich Flüge nur zwei Tage im Voraus buchen, wollte aber den des nächsten Tages. Zum Glück fand ich direkt neben meinem Hotel eine kleine Agentur, die meinen Flug buchen konnte und bei der ich die 700'000 Rupiah (55 SFr.) in Bar zahlen konnte.
Am Nachmittag ging ich in die Mall. Ich wollte ein langärmliges T-Shirt kaufen, weil in Kalimantan besonders viele Moskitos unerwünschte Blutfördertürme auf ungeschützter Haut errichten würden. Ich fand ein Kleidergeschäft, welches sich nicht nur über mehrere Stockwerke erstreckte sondern auch horizontal riesig war. Zuerst war ich mir nicht sicher, ob Spiegel an den Wänden den Laden so gross erscheinen liessen oder ob er tatsächlich unendlich gross war. Letzteres schien der Fall zu sein.
Für einen unendlich grossen Laden braucht man natürlich auch unendlich viel Personal. Wie gewöhnlich wird an dessen Quantität nicht gespart und so stand auf jedem etwa 2x2 m Feld eine Verkäuferin. Ich befand mich gerade am einen Ende des Ladens und schaute langärmlige T-Shirts durch, als auf einen Schlag scheinbar die komplette Besatzung des Ladens von der nächsten Schicht abgelöst wurde. Neben mir ging die Tür auf und ein Strom von Verkäuferinnen kam im Gänsemarsch hinaus. Gleichzeitig bildete sich daneben eine Kolonne in umgekehrter Richtung. Aus allen Ecken und von den oberen und unter Stockwerken her strömten Verkäuferinnen auf den scheinbar einzigen Ein/Ausgang zu und aus der Tür trat entsprechend, schwatzend und lachend, eine endlose Schlange frischer Angestellten hinaus und verstreute sich in alle Richtungen. Ich stand mindestens 10 Minuten da und betrachtete das Schauspiel. Als ich weitere 5 Minuten später den Laden verliess, war weder der ein- noch austretende Strom abgebrochen. Und wenn sie nicht gestorben sind...
19. Februar, Surabaya (Tag 31)
Frühmorgens nahm ich ein Bluebird Taxi (die besten in Java) zum Flughafen. Der Fahrer hat mir wieder etwas Nachhilfe in Indonesisch gegeben. Irgendwie haben wir uns aber nicht ganz verstanden, wohin zum Flughafen ich wollte. Als wir dort waren, schlug er sich plötzlich an den Kopf und sagte, mein Flug sei ja inländisch (nicht international), und das Check-in für diese Flüge sei am anderen Ende des Flughafens. Auf halben Weg war er sich dann doch wieder nicht sicher, ich zeigte ihm das Ticket und er fuhr zurück, wo wir gerade waren. Es war dann auch tatsächlich richtig.
Mit der Kal Star Aviation bin ich dann von Surabaya nach Pangkalanbun geflogen. Dort nahm ich das Taxi (sonst gab es keine Verkehrsmittel) nach Kumai, einer Hafenstadt und nah am Tanjung Puting Nationalpark. Auf dem Weg musste ich noch an der Polizeistation vorbei, um mich dort registrieren zu lassen. Der Polizist war sehr effizient und der Prozess unkompliziert. Scheinbar hat die Polizei schon Leute mit fragwürdigen Absichten (Jagen, Holzfällen, was auch immer) im Park gefunden und will deshalb Buch führen, wen sie hineinlässt.
Der Taxifahrer hat natürlich sofort gewusst, dass ich in den Park möchte und direkt seine gute Freundin Lisa angerufen, die solche Trips organisieren kann. Lisa sprach ziemlich gut Englisch und schien professionell. Ich erklärte ihr, dass ich den Trip (3 Tage, 2 Nächte auf einem Boot) in den Park machen möchte, aber nur mit jemandem zusammen. Sie erklärte mir, dass das in der Low-Season etwas schwierig sei, sie habe gerade eben jemanden gehabt, der zwei Tage gewartet habe und sich dann entschieden habe, den Trip doch alleine zu machen. Ich hatte ja keinen Stress und sagte, dass ich dann halt warten würde.
Also musste ich eine Unterkunft finden. Im Buch wurde das Aloha Homestay beschrieben, in dem sich Touristen oft zu solchen Trips zusammentun würden. Leider war das Aloha Homestay einen Monat zuvor abgebrannt und lag in Schutt und Asche.
In einem anderen Homestay wohnte eine ältere Frau und einige Familienmitglieder, die alle kein Englisch sprachen. Das alleine wäre kein unüberwindbares Problem gewesen, doch sie wollte für einen kleinen Raum mit asiatischem Klo 150'000 Rupiah. Das war definitiv zu viel. Ich machte mich auf, um das Hotel zu finden, welches ebenfalls im Lonely Planet aufgeführt war. Aus Versehen ging ich daran vorbei und fand mich auf einer langen Strasse wieder, die nicht so aussah, als gäbe es irgendwo ein Hotel. Ein heranfahrender Indonesier auf einem Motorrad hielt an und fragte mich, was ich suche. Ich sagte ihm das Hotel und er fuhr mich hin. Dort fragte er mich, ob ich denn schon einen Trip in den Park gebucht habe und ich sagte, ich hätte mit Lisa gesprochen. Seine Miene hellte sich auf und er sagte, das sei super, Lisa sei nämlich seine Tante und seine Cheffin, da er auch Trips leite. Sein Name war Alvin.
Ich verabschiedete mich und ging zum Hotel. Das Zimmer war viel besser, die Leute sprachen Englisch, waren jung und sympathisch und ich hätte mir gut vorstellen können, einige Tage hier zu bleiben und andere Touristen zu suchen. Ich checkte ein und legte mich aufs Bett. Kurz darauf klopfte es an meiner Tür und Alvin stand davor. Er fragte mich, ob ich immer noch den Trip machen wollte und ich sagte, dass ich mit jemandem zusammen gehen wolle. Er sagte, Lisa habe zwei gefunden und ich fragte, wann es denn losgehen könne und er antwortete „Jetzt“ und ich packte schnell alles zusammen und ging mit Alvin runter zur Rezeption um wieder auszuchecken.
Alvin fuhr mich und mein Gepäck zu Lisas Haus. Die Firma gehört ihrem Ehemann und ihr. Sie leben sehr einfach, obwohl sie pro Trip einiges verdienen müssten. Hier lernte ich Alejandra und Gabriela kennen, die beide Spanisch und Deutsch sprachen. Nachdem jeder 2,6 Millionen Rupiah (200 SFr.) bezahlt hatte, gingen wir zum Hafen, wo die Boote (auch Klotoks genannt) der Familie am Steg befestigt waren. Insgesamt haben sie 9 Schiffe und da Low-Season war, gaben sie uns sogar das grössere, obwohl für drei Personen ein Kleineres vorgesehen wäre. Die Crew bestand aus zwei Köchinnen, einem Mechaniker, einem Fahrer und Alvin, der das ganze führte.
Mit acht Seelen an Bord, tuckerte das Boot hinaus in die salzwasserhaltige Lagune und dann den Süsswasserfluss Sungai Setonyer hinauf in den Tanjung Puting Nationalpark.
20. Februar, Tanjung Puting Nationalpark (Tag 32)
1971 erreichte die damals 25-jährige Biologiedoktorandin Birute Galdikas die Insel Borneo, neben Sumatra die letzte Stätte mit freilebenden Orang-Utans, welche vor tausend Jahren noch in ganz Südostasien verbreitet waren. Ihr Mentor, der britische Paläoanthropologe Louis Leakey, leitete drei auserwählte Frauen an, die drei dem Menschen nächstverwandten Spezien zu erforschen. Diese drei Menschenaffen waren die Schimpansen, die Gorillas und die Orang-Utans.
Damals war noch nicht bekannt, wie viele Junge ein Orang-Utan Weibchen gebärt, wie lange sie schwanger ist, in welchen sozialen Gesellschaften sie organisiert sind und vieles mehr. Prof. Galdikas lebt noch heute und ist eine der angesehensten Expertinnen auf ihrem Gebiet. Neben der 1971 gegründeten Forschungsstation Camp Leakey sind bis heute drei weitere Stationen entstanden. Diese Stationen sind eigentlich keine Touristenattraktionen, sondern immer noch Forschungsstätten.
Da wir am Vortrag erst spät gestartet waren, war es auch zu spät gewesen, um die Fütterung in Camp Tanjung Harapan um 15 Uhr zu besuchen. Stattdessen waren wir daran vorbeigefahren und erreichten heute bereits um 11 Uhr morgens Camp Leakey, das Hauptcamp. Auf dem Weg, bzw. dem Fluss, sahen wir silbergraue Makaken (Affen), Gibbonaffen, Nasenaffen, Krokodile, Wasserschlangen, Warane und viele verschiedene bunte Vögel.
Die Krokodile werden angeblich bis 5 m lang. Meistens halten sie nur ihre böse funkelnden Augen und ihre Nase über dem Wasser. Dort warten sie mit unendlicher Geduld auf einen Fehltritt eines potentiellen Opfers. Manchmal seien junge Affen besonders neugierig und kletterten aus der sicheren Höhe der Bäume hinunter zum Fluss, um sich das Krokodil genauer anzuschauen. Das Krokodil schlage mit seinem Schwanz den Affen vom Baum ins Wasser und fresse ihn dann.
Wir legten mit unserem Hausboot am Steg an und kletterten von Bord. Der Steg ging etwa 200 m ins Landesinnere und war etwa 1.50 m über dem Boden. Wir gingen dem Steg entlang durch den Urwald als wir plötzlich vor uns ein ausgewachsenes Orang-Utan Weibchen liegen sahen. Sie war das dominante Weibchen rund um Camp Leakey und hatte sich quer über den etwa 1 m breiten Steg gelegt. Alvin, der unser Führer war, warnte uns zu nah an die Dame ranzutreten. Eine Orang-Utan Dame weiche vor Menschen nicht freiwillig zurück und sei durchaus im Stande und bereit sich selbst zu verteidigen, wenn sie es für nötig hält.
So machten wir ein paar Fotos von und vor ihr und achteten darauf, sie nicht zu berühren und sie schaute uns schläfrig zu. Sie hätte uns den Weg noch lange nicht freigegeben, hätte Alvin nicht verbotenerweise ein paar Minibananen neben den Steg geworfen, die sie sich nach einigem Zögern holte, was uns Zeit gab, an ihr vorbeizuhuschen.
Männliche Orang-Utans haben ein grosses Revier in welchem sie keine Konkurrenz dulden. Der hiesige dominante Machtinhaber heisst Tom und muss ein Monster von Affe sein. Diesen bekamen wir leider nicht zu Gesicht, da im Dschungel immer noch einige Früchte zu finden sind, sie sich Affen wie Tom unter den Nagel reissen und so nicht auf die Fütterung durch Menschen angewiesen sind.
Um 14 Uhr begann die Fütterung. Auf einer Lichtung stand eine erhobene Plattform auf welches die Parkranger zwei Eimer mit Milch stellten und einige Säcke Bananen daneben ausleerten. Die Ranger und einige Führer, die gerade Lust hatten, machten laute Heulrufe in den Wald, damit die Affen wussten, dass aufgetischt war.
Die Ersten zu Tisch kamen jedoch nicht von den Bäumen herunter, sondern grunzend dem Waldboden entlang. Wildschweine stürmten die Lichtung und machten sich über Reste des Vortags her, die die Parkranger von der Plattform auf den Boden gewischt hatten. Erst nach und nach sah man zuerst nur, wie sich ein Baum in der Ferne zu bewegen begann und sich ein Orang-Utan von Baum zu Baum zur Plattform hangelte. Einige Mütter hatten sogar noch ein Junges um den Bauch geschlungen. Manche Affen setzten sich und tranken Milch und mampften Bananen. Andere klauten eine Handvoll Bananen, kletterten in die Höhe und hingen dort oben, die Bananen verspeisend. Diese Tiere müssen eine ungeheure Kraft in ihren Gliedern haben, um sich mit dieser scheinbaren Leichtigkeit vertikal fortbewegen zu können. Oft halten sie sich mit einer Hand und einem Fuss fest und haben jeweils eine Hand und einen Fuss frei, was irgendwie unbequem aussieht, aber nicht zu sein scheint.
Nachdem sich etwa 6 Erwachsene und einige Junge den Bauch vollgeschlagen hatten, verschwanden alle wieder und wir machten uns zurück zum Boot. Auf dem Boot wurden wir den ganzen Tag kulinarisch verwöhnt und mit Morgenessen, Mittagessen, Zwischensnack und Nachtessen versorgt. Während es eindunkelte, legten wir am nächsten Camp an. Dort machte ich Bekanntschaft mit dem designierten, neuen Manager, der nach einigen Jahren in einem anderen Nationalpark und dann einigen Jahren als Banker, den Job im Tanjung Puting Nationalpark durch einen Freund vermittelt bekam. Er erzählte mir vom Dilemma, den Tourismus in dem Park weiter zu fördern und dennoch Naturschutz und Forschung qualitativ sichern zu können.
Die Ranger und Crewmitglieder hatten es immer sehr lustig zusammen und lachten fast pausenlos. So hatten sie z.B. den Nasenaffen den Spitznamen „Pinocchio-Affen“ gegeben. Als es dunkel war, machten wir uns in den Dschungel auf. Die Parkranger wussten genau wo suchen und lockten einige handgrosse Taranteln aus ihren Löchern.
Alvin, unser Führer, sprach relativ gut Englisch. Seine Eltern waren seit einigen Jahren tot, so dass er für seinen kleinen Bruder, der in Pangkalanbun bei Freunden wohnte, finanziell sorgte. Bei seinem Onkel und Tante (Lisa) fand er Arbeit als Führer. Die Führer haben eine Grundausbildung in Erster Hilfe und Zoologie und müssen zuvor je einen Monat als Koch und Bootsfahrer gearbeitet haben. Um eine Reise nach Holland und einige angrenzende europäische Länder zu machen, hatte er sein Auto seinem Onkel verkauft. Als nächstes wollte er in die USA reisen, doch als Indonesier sei es schwierig, ein Visum zu erhalten. Zuvor hatte er aber noch ein anderes kostspieliges Vorhaben. Er wollte die Tochter des Gouverneurs heiraten. Der Gouverneur selber verlangt eine Mitgift von 55 Millionen Rupiah (4’200 SFr.) für seine Tochter. Während auf anderen Inseln ganze Familien das Geld für eine Mitgift zusammentragen, ist es unter den Dajaks in Kalimantan Tradition, dass der Bräutigam ganz alleine das Geld auftreiben muss. Bisher habe er 30 Millionen zusammen. Er war ehrlich erstaunt als ich ihm erzählte, dass es in Europa keine Mitgift gäbe und dass mein Schwiegervater – wenn es dann mal soweit wäre – leer ausgehen würde.
21. Februar, Tanjung Puting Nationalpark (Tag 33)
Das Boot tuckerte bereits frühmorgens los, um rechtzeitig bei Camp Pondok Tanggui zu sein, da die Fütterung hier bereits um 9 Uhr starten würde. Zunächst hatte aber nur ein Orang-Utan Frühstückshunger und verschwand bald darauf wieder hinauf in die grünen Baumkronen. Wir warteten etwa eine halbe Stunde und wollten schon fast gehen, als sich das Gebüsch doch noch lichtete und ein kraftstrotzendes Orang-Utan Männchen die Plattform einnahm. Sein selbstsicheres Gehabe, seine grossen, schwarzen Backenknochen und seine ganze Ausstrahlung liessen keinen Zweifel offen, wer in diesem Camp der dominante Dschungelfürst ist. Das Männchen lugte argwöhnisch in die 10-köpfige Zuschauermenge, entschied, dass ihm kein Homo Sapiens gefährlich vorkam, machte ein paar Schritte zurück zum dichten Gebüsch und half einer Orang-Utan Dame mit ihrem Jungen auf die Plattform. Da sass die kleine Familie und langte kräftig zu bis das Oberhaupt genug hatte und die drei wieder in den Dschungel verschwanden.
In Camp Tanjung Harapan war um 15 Uhr dann noch eine Fütterung, doch hier tauchte gar kein Affe auf. Ein Zeichen, dass es den Affen gut gehe. Später legten wir noch bei einem kleinen, malerischen Dorf an und machten einen Spaziergang. Das grösste Problem des Dorfes war die Stromproduktion und anhand der vielen Satellitenschüsseln hätte man meinen können, das Fernsehen sei auch der einzige Grund, warum Strom gebraucht wurde.
Danach machten wir uns zurück nach Kumai, von wo aus Alvin uns mit dem Auto seines Onkels (das früher ihm gehört hatte) nach Pangkalanbun in ein günstiges Hotel brachte. Es war bereits Nacht als wir das Hotel verliessen, um etwas zum Nachtessen zu finden. Kaum ein Licht brannte und die Strasse und der Gehsteig waren stockdunkel. Ich war nur eine Sekunde unaufmerksam und schon passierte es, ich fiel in ein etwa 1 m tiefes Loch, mitten im Gehsteig. Ich hatte grosses Glück und mir war nichts Ernstes passiert. Ich sass halb im Loch und hatte meinen Sturz praktisch mit meinem Schienbein am gegenüberliegenden Rand des Lochs abgebremst. Ich hatte eine anschwellende Prellung und blutete etwas, aber nachdem ich alles sauber gewaschen, desinfiziert und verpflastert hatte, war keine ärztliche Hilfe nötig (Ich habe ja Horrorstories von asiatischen Provinzärzten gehört...).
22. Februar, Pangkalanbun (Tag 34)
Morgens um 6 Uhr fuhr uns das Taxi zum Flughafen. Alejandra und Gabriela wollten weiter nach Banjarmasin und ich nach Sumatra. Die Trigana Air flog mich nach Jakarta und die Citilink weiter nach Medan. Dort checkte ich das zweite Mal in einem etwas besseren Hotel ein, weil die Backpacker Situation in dieser Metropole angeblich selbst jene von Surabaya noch unterträfe.
In Medan gibt es neben Taxis und hunderten von autonomen Minibusslinien noch ein spezielles Transportvehikel. Ein Motorrad hat einen Nebensitz mit einem Dach. Es ist wirklich erstaunlich mit wie viel Fantasie die Indonesier verschiedene Transportmöglichkeiten erschaffen und so dem Verkehr jeder Stadt einen anderen Charakter verleihen.
23. Februar, Medan (Tag 35)
Mit dem Bus verliess ich Medan und kam am Nachmittag in der Hafenstadt Parapat am Lake Toba an. Der See ist so riessig, dass er am Horizont den Himmel berührt. Im See befindet sich die (Halb-)Insel Samosir, die etwa so gross wie der Bodensee ist und ganz knapp nur mit dem Festland verbunden ist und von dieser Insel ragt die kleine Halbinsel Tuktuk in den See. Eine Fähre bringt die Leute von Parapat nach Tuktuk. Wenn man von Tuktuk nach Parapat möchte, steht man einfach ans Ufer und winkt die Fähre heran, wenn sie vorbei fährt. Die Fähre fährt vor Tuktuk auf und ab und sammelt Leute, bis der Kapitän irgendwann findet, dass jetzt genügend Leute da seien um nach Parapat überzusetzen.
Am Hafen wurde ich schnell von einem Local gefunden, der mir von seinem Guesthouse „Reggae“ erzählte. Günstig, einfach, ruhig und direkt am See. Ich dachte, es könne ja nichts schaden, mal mitzugehen und es mir anzuschauen und dann hätte ich immer noch andere besichtigen können. Tatsächlich blieb ich dann eine ganze Woche dort. Überall auf der Insel waren sonst Baustellen zu hören und die guten Unterkünfte am See waren viel zu teuer oder eben nicht am See. Ich fand, ich hatte nicht nur das beste Guesthouse, sondern sogar das beste dortige Zimmer gefunden.
Auf der Überfahrt von Parapat nach Tuktuk lernte ich Tar kennen, einen Algerier, der in Malaysia studiert. Er sprach sich klar gegen die Revolutionen in den Nordafrikanischen Staaten aus. Seiner Meinung nach (die ich hier zu zitieren versuche und die höchstens teilweise mit meiner übereinstimmt) wird durch eine gewalttätige Revolution alles nur noch schlimmer. Mord, Gesetzlosigkeit und Massenflucht zerstöre die einst schönen Länder, von denen er einige selber bereist habe. Insbesondere widerspreche die Vorangehensweise den Lehren des Korans. Der Koran fordere, dass die Menschen das Negative (z.B. was die Regierung falsch macht) schlicht ignorieren sollten und stattdessen versuchen sollten, selbst ein besserer Mensch zu werden. Danach sollten sie ihr Umfeld, also Freunde und Familie, zu besseren Menschen machen. Würde dies konsequent umgesetzt, so würden sich die Leute nach und nach gegenseitig zu besseren Menschen machen, sich die Guten vermehren und irgendwann würden zwingend gute Menschen in die Regierung aufsteigen und die Missstände beheben. Er, Tar, versuche sein Leben entsprechend zu gestalten.